Europäisches Renaturierungsgesetz

Pressekonferenz mit Umwelt- und Klima-Landesrat Stefan Kaineder, Prof. Mag. Dr. Franz Essl (Biodiversitätsforscher und Wissenschaftler des Jahres 2022) und Klaus Bauernfeind (Landwirt und Obmann der BioRegion Mühlviertel)

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Europäisches Renaturierungsgesetz – Auswirkungen auf Oberösterreichs Böden und Gewässer – Fakten zur aktuellen Diskussion

Die Entscheidung der Grünen Umweltministerin Leonore Gewessler für ein JA zum EU-Renaturierungsgesetz ist ein Meilenstein für den Klima- und Umweltschutz in Österreich und der gesamten Europäischen Union. Das Renaturierungsgesetz als zentrale Maßnahme des European Green Deal ist das wichtigste EU-Naturschutzgesetz und bringt die dringend nötigen Maßnahmen zur Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme. Es sorgt dafür, dass Wälder aufgeforstet, Moore wieder vernässt und Flüsse in ihren natürlichen Zustand versetzt werden. Es trägt somit maßgeblich zum Kampf gegen die Folgen der Klima- und Biodiversitätskrise bei.

Die Aufregung und die negative Stimmung, die im Vorfeld der Abstimmung im EU-Minister:innenrat in Luxemburg geschaffen wurde, fußt im Wesentlichen auf Halbwahrheiten und kaum nennenswerten Fakten. Die Vermutung, dass hier mit irreführender Kommunikation versucht wurde, in der Bauernschaft zu polarisieren und Ängste zu schüren, um für den EU-Wahlkampf zu mobilisieren liegt nahe. Den Landwirt:innen wurde mit der Mär von Enteignungen oder Flächenstilllegungen diese überlebenswichtige Gesetzesinitiative schlechtgeredet. Für die Bevölkerung wurde mit dem vermeintlichen Verlust der Ernährungssicherheit eine Drohkulisse aufgebaut. „Politik auf dem Rücken unserer Landwirtinnen und Landwirte und mutwillig gegen gesamteuropäische Interessen. Unsere Natur hat aber kein Parteibuch und auch keine milliardengestützte Lobby im Hintergrund“, stellt Umwelt- und Klima-Landesrat Stefan Kaineder klar.

Die Klima- und die Biodiversitätskrise sind die großen Herausforderungen unserer Zeit. Ihre Folgen spüren gerade die Land- und Forstwirt:innen mittlerweile massiv. Trockenheit, Unwetter und Überschwemmungen vernichten immer größere Teile unserer Ernte. Das ist insofern dramatisch, als gerade Land- und Forstwirtschaft unsere Lebensgrundlage erwirtschaften – sei es durch die Bereitstellung von Lebensmitteln, Rohstoffen oder auch die Aufrechterhaltung der vielen verschiedenen Funktionen des Waldes.

„Vor allem in Oberösterreich haben die Landwirtinnen und Landwirte jahrelange Erfahrung mit umweltgerechter Bewirtschaftung ihrer Flächen. Rund 80 Prozent der oberösterreichischen landwirtschaftlichen Betriebe beteiligen sich freiwillig am Österreichischen Programm für umweltgerechte Landwirtschaft – ÖPUL. Die Ziele in der Renaturierungsverordnung werden für Österreich vor allem auch dank der engagierten Arbeit unserer Land- und Forstwirt:innen zu erreichen sein“, ist sich Kaineder sicher.

Oberösterreichs Wasserwirtschaft hat den Weg für eine nachhaltige Wasserzukunft, die den ökologischen Zustand der heimischen Gewässer verbessern soll, längst beschritten. Beispiele für die Wiederherstellung längerer Abschnitte frei fließender Flüsse sind etwa die Herstellung der Durchgängigkeit an der Ischl durch den Umbau von 15 Querbauwerken vom Ausrinn Wolfgangsee bis zur Mündung in die Traun.

An der Traun selbst wurde dem Fluss in den vergangenen Jahren gemeinsam mit Expert:innen der Wildbachverbauung ein Teil seiner Natürlichkeit zurückgegeben. Alte, abgetrennte Nebenarme in Ebensee und Bad Ischl wurden geöffnet oder neue geschaffen. Diese Augebiete dienen bei Starkregen als natürliche Überschwemmungsräume, die extreme Wassermengen puffern können. Als Nebenprodukt entstehen Habitate für bedrohte Tier- und Pflanzenarten. An der Salzach wurden auf einer Länge von drei Kilometern die Steine der Uferverbauungen entfernt und die Salzach mit Baggerarbeiten um etwa 10 Meter aufgeweitet, und weitere 6 Kilometer sollen folgen.

Mit dem LIFE IRIS Projekt an der unteren Traun entsteht von der Wehranlage des Kraftwerks Kleinmünchen bis zur Mündung in die Donau ein gewaltiges Renaturierungsvorhaben, das in Kürze in Umsetzung gehen wird. Auch bei Hochwasserschutzmaßnahmen wird die Ökologisierung mit Priorität mitgeplant. Eindrucksvolles Beispiel ist das größte Rückhaltebecken Österreichs in Krems-Au, das zeigt, wie Hochwasserschutz und Naturschutz Hand in Hand gehen können.

Aus dem Umwelt- und Klimaressort gibt es mit einer österreichweit einzigartigen Entsiegelungsförderung eine weitere Maßnahme, die in Richtung Renaturierungsverordnung ausgerichtet ist. Vorrangiges Ziel des Programmes ist, die Beton- und Asphaltwüsten in unseren Städten und Gemeinden zu Grünoasen werden zu lassen, um auch den Menschen in immer heißer werdenden Sommern Kühlung zu verschaffen. Hier fährt der Zug bereits längst in Richtung Renaturierungsverordnung!

„Wo wir in Oberösterreich dringendsten Handlungsbedarf hätten, ist der enorme Flächenfraß, der tatsächlich die Ernährungssicherheit unserer Kinder gefährdet. Die Landwirtschaft verliert seit Jahrzehnten wichtige Produktionsflächen. Doch dieselben politischen Akteure, die verpflichtende Bodenschutzziele seit Jahren ablehnen, behaupten jetzt, dass Renaturierungsmaßnahmen uns die Ernährungssicherheit nehmen würden. Das größte Problem ist, wenn ein fruchtbarer Acker unter einem Supermarktparkplatz verschwindet. Der Naturschutz hingegen bringt Artenvielfalt und Produktivität in die Landwirtschaft zurück. Denn die Devise muss jetzt sein: renaturieren statt betonieren.“

Klimakrise ist Zukunftskrise – Renaturierungsverordnung ist Versicherung gegen Naturkatastrophen

Der Klimawandel und das Artensterben sind die größten Herausforderungen unserer Zeit, denn sensible Lebensräume sind stärker bedroht als je zuvor. So sind in Österreich in den letzten 25 Jahren 48 Prozent der Brutvögel aus unserer Kulturlandschaft verschwunden.  Dabei spielt die Artenvielfalt eine entscheidende Rolle bei Klimaschutz und Klimawandelanpassung. Intakte Ökosysteme nehmen Kohlenstoff auf und speichern ihn, von Permafrostböden und Regenwäldern sind uns diese Effekte bereits geläufig, aber dies gilt auch für Österreich. Artenreiche Naturwiesen Feuchtgebiete und intakte Wälder wirken als Kohlenstoffspeicher. Stabile Ernten sind ebenfalls nur in einer intakten Landschaft möglich. Zudem schützen vielfältige stabile Ökosysteme vor Dürre, Hochwasser und Muren und sorgen für unsere Lebensgrundlagen – sie sind unsere wertvollste Versicherung gegen den Klimawandel.

„Wir befinden uns in einer tiefen und umfassenden Krise. Nennen wir sie die Zukunftskrise: Artensterben, Raubbau an den natürlichen Ressourcen, ungehemmter Ausstoß an Treibhausgasen – so lautet die Diagnose. Eine intakte Natur ist kein Beiwerk, auf das man nötigenfalls auch verzichten kann. Sondern, eine intakte Natur ist die Grundlage unserer Gesellschaft. Sie schützt vor Wetterextremen, sie ist die Basis unserer Ernährung und vieles mehr. Ohne eine Zukunft für die Natur keine Zukunft für die Gesellschaft, wie wir sie kennen. Keine Zukunft für uns. Wenn ich das sage, so ist das nicht zugespitzte Polemik, sondern das zeigen uns die wissenschaftlichen Fakten“, so Franz Essl. Und er ergänzt: „Daher ist das Renaturierungsgesetz ein ganz wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Von dem auch Österreich massiv profitieren wird: die Bewertung der EU-Kommission zeigt, dass jeder Euro der in Europa in die Wiederherstellung der Natur investiert wird, im Durchschnitt zwölffach in die Gesellschaft zurückkommt! Hinzu kommt, dass die EU eine Mitbeteiligung an den Kosten der Umsetzung des Renaturierungsgesetzes zugesagt hat. Somit ist klar: es spricht sehr viel für das Renaturierungsgesetz, und wichtig ist nun eine zügige Umsetzung.“

Renaturierung ist das tägliche Brot der Bio Bauern – endlich gibt es eine gesetzliche Verankerung für diese Bemühungen

So eindeutig, wie das landwirtschaftliche Establishment die Meinung der Landwirtschaft zur Renaturierungsverordnung ausdrückt, so eindeutig ist die Meinung dazu unter den Bauern nicht, stellt Klaus Bauernfeind, Bio-Landwirt und Obmann der BioRegion Mühlviertel, fest.  Persönliche Gespräche und die Diskussionen auf verschieden Plattformen widerspiegeln ein viel differenziertes Bild. Wie es zu der Meinungsbildung in den Führungsebenen kam, ist nicht bekannt, einen basisdemokratischen Prozess im Vorfeld dazu gab es nicht. Der Verdacht, dass wieder einmal eine Lobby im Hintergrund die Basis der Bauernschaft für eigene Interessen, welche auch immer, instrumentalisiert, steht im Raum.

„Wir Bio-Bauern leben Renaturierung tagtäglich. Eine Umkehr oder zumindest eine Verlangsamung von stetem Wachsen und Weichen ist längst überfällig“, meint Bauernfeind.

„Landwirtschaft, die sich als Gegenpol zu Biodiversität präsentiert, steuert auf ein sehr schwerwiegendes Problem mit der gesellschaftlichen Akzeptanz ihres Tuns zu. 80 Prozent Zustimmung in der Bevölkerung zur Renaturierungsverordnung sind ein Auftrag“, verweist Bauernfeind auf eine Umfrage im Auftrag des WWF, die am 16. Juni veröffentlicht wurde. „Das Vorschieben der überbordenden Bürokratie und das bewusste Spiel mit der Angst vor mangelnder Lebensmittelsicherheit ist durchsichtig und gefährlich“, ärgert sich Bauernfeind.

Fakten zur Renaturierungsverordnung

Ziele und Zeitplan

Mit der EU-Verordnung zur Wiederherstellung degradierter Ökosysteme sollen in der EU bis zum Jahr 2050 geschädigte Lebensräume in einen guten Zustand versetzt werden. Den Fahrplan dafür sollen die Mitgliedstaaten in nationalen Wiederherstellungsplänen erstellen.

Von Agrarlandschaften, über Grünflächen, Gewässer bis Wälder – viele unterschiedliche Lebensräume werden von der geplanten EU-Verordnung erfasst.

Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands

Für die FFH-Lebensraumtypen in schlechtem Erhaltungszustand sind Maßnahmen vorgesehen, um bis 2050 eine ausreichende Fläche in gutem Zustand für einen langfristigen Fortbestand der Lebensraumtypen und ihrer Artengesellschaften zu erreichen. Die umzusetzenden Maßnahmen beziehen sich einerseits auf das Ziel der Verbesserung von Flächen in schlechtem Zustand (bis 2030 sind Maßnahmen auf 30 Prozent der Flächen in schlechtem Zustand zu setzten, bis 2040 auf 60 Prozent und bis 2050 auf 90 Prozent) und anderseits auf die Wiederanlage von Flächen (bis 2030 sind Maßnahmen zur Wiederanlage auf 30 Prozent der notwendigen Flächen zu setzten, bis 2040 auf 60 Prozent und bis 2050 auf 100 Prozent).

Keine Enteignungs- und Bewirtschaftungsverbote

Die Enteignung von Landeigentümer:innen sowie Bewirtschaftungsverbote für Landnutzer:innen werden dezidiert ausgeschlossen. Die Wiederherstellung von Ökosystemen soll vielmehr durch ökonomische Anreize sowie gezielte Schulungen und Beratung vorangetrieben werden.

Art. 11 Abs. 4 enthält im finalen Text dazu folgende Formulierung: „Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Zielvorgaben für die Wiedervernässung … zu erreichen, bedeutet nicht, dass Landwirte und private Landbesitzer – für die die Wiedervernässung auf landwirtschaftlichen Flächen weiterhin freiwillig ist – zur Wiedervernässung ihrer Flächen verpflichtet sind, unbeschadet der Verpflichtungen, die sich aus dem nationalen Recht ergeben.“

Kosten/ Fördermöglichkeiten/ Ökonomischer Nutzen:

Wesentliche Teile des Wiederherstellungsgesetzes (insbesondere die Maßnahmen des Art. 4) sind bereits über geltende Regelungen (FFH- und Vogelschutz-Richtlinie) verpflichtend und wurden bereits budgetiert. Für die darüber hinausgehenden und zusätzlichen Kosten können zahlreiche Fördertöpfe der Europäischen Union in Anspruch genommen werden, für die allerdings auch nationale Kofinanzierungen erforderlich sind.Die Mitgliedstaaten haben die Kosten in sogenannten prioritären Aktionsrahmen (PAF) abgeschätzt und der Europäischen Union bekannt gegeben, damit diese in den vorhandenen EU-Fonds budgetiert werden können. Die Umsetzung des NRL ist zwar mit substanziellen Kosten verbunden, diese werden jedoch von vielen positiven wirtschaftlichen Effekten mehr als kompensiert: die Wirkungsanalyse der EU-Kommission beziffert eine Reihe ökonomischer Vorteile und eine deutlich positive Kosten-Nutzen Relation. So schaffen Wiederherstellungsprojekte nicht nur Arbeitsplätze vor Ort, sondern bieten auch Entwicklungsperspektiven insbesondere in ländlichen und deindustrialisierten Gemeinden. Die Fördermöglichkeiten sind vielfältig und reichen von EU-Förderprogrammen (z.B. LIFE+, Interreg etc.) über Förderungen der Mitgliedsstaaten (ÖPUL, Biodiversitätsfonds) bis hin zu Finanzierungsmöglichkeiten im Bereich von Green-Finance und EU-Taxonomie.

Ernährungssicherheit

Die Ernährungssicherheit wird als zentrales Ziel der Verordnung in Artikel 1 definiert: „Dies ist notwendig, um eine bezahlbare, gesunde und nachhaltige Lebensmittelproduktion zu gewährleisten.“

Am Beispiel der landwirtschaftlichen Nutzung zeigt sich, dass die Wiederherstellung degradierter Böden das Potential bietet, die Lebensmittelproduktion insgesamt zu verbessern, indem fruchtbarerer Boden, bessere Widerstandsfähigkeit gegen extreme Wetterbedingungen, bessere Arbeitsbedingungen und höhere Produktivität geschaffen werden. Auch die in der Verordnung vorgesehene Förderung bestäubender Insekten in der Agrarlandschaft trägt maßgeblich zur Sicherung der Ernährungssicherung und der Erträge bei. Zusätzlich wurde mit Artikel 27 die folgende Klausel in das NRL eingebaut: „Bei Gefahr für die Versorgung mit Lebensmitteln, kann die Kommission die Umsetzung von Artikel 11 (zu landwirtschaftlichen Ökosystemen) aussetzen.“

Ausreichend Zeit für Umsetzung

Das Timing erstreckt sich mit Abstufungen bis 2050. Das Wiederherstellungsgesetz sieht eine Handlungsverpflichtung und keine Zielerreichungsverpflichtung vor, es geht also darum, dass Maßnahmen gesetzt werden und nicht darum, dass Altholzbestände oder Moore schon nachgewachsen bzw. vollständig wiederhergestellt sind. Die Zeitpläne des Wiederherstellungsgesetzes wurden in der überarbeiteten Form adaptiert. Der erste Wiederherstellungsplan darf nun primär nur die Ziele und Maßnahmen bis 2030 umfassen. Erst der nächste Plan (2032) soll auch die 2040er und 2050er Ziele umfassen. Österreich hat bereits knapp 30 Jahre Zeit, um sich auf diese Maßnahmen vorzubereiten bzw. diese auch bereits umzusetzen.

Nationale und regionale Bedürfnisse werden berücksichtigt

Die Nationalen Wiederherstellungspläne sowie deren Umsetzung sind von den einzelnen EU-Mitgliedsstaaten zu erstellen und (natürlich) auf nationale Erfordernisse abzustimmen. Die EU-weite Umsetzung hat den Vorteil, dass nicht nur Österreich, sondern auch alle anderen Mitgliedsstaaten wirksame Maßnahmen umsetzen. EU-weit gleiche Standards verhindern eine Wettbewerbsverzerrung und bewirken, dass die österreichische und europäische Bevölkerung auch von den Maßnahmen der 26 anderen EU-Staaten profitieren (Beispiel ökologischer Hochwasserschutz in Bayern).