Dachsteingletscher als Indikator der Klimaveränderung

Dachsteingletscher als Indikator der Klimaveränderung – Präsentation aktueller Ergebnisse des oö. Messprogramms – Installationen des Landes OÖ machen Gletscherschwund sichtbar und sind Besuchermagnet auf modernisierter Bergstation am Dachstein

Pressekonferenz mit Leonore Gewessler/Klimaschutzministerin, Stefan Kaineder/Umwelt- und Klima-Landesrat, MMag.a Dr.in Andrea Fischer/Glaziologin und Wissenschafterin des Jahres 2023, Dir. Georg Bliem/Geschäftsführer Planai Bahnen, Mag. Michael Mondria/Geschäftsführer Ars Electronica Solutions, Mag. Klaus Reingruber/Leiter Oö. Gletschermessprogramm

Dachsteingletscher als Indikator der Klimaveränderung

Seit mittlerweile 18 Jahren läuft das von Land Oberösterreich und Energie AG kofinanzierte Forschungsprojekt „Massenbilanz am oberösterreichischen Hallstätter Gletscher“ mit dem Ziel, den Rückgang des größten Gletschers des Dachsteinmassivs und der nördlichen Kalkalpen wissenschaftlich zu beobachten. Seit Beginn des Messprogramms im Jahr 2006 hat der Hallstätter Gletscher von 152 Mio. Kubikmetern mit mehr als 56 Mio. Kubikmetern ein Drittel seiner Masse verloren und auch rund 800.000 Quadratmeter an Fläche des ewigen Eises sind auf immer unwiederbringlich.

„Die Klimakrise ist in Österreich angekommen und ihre Auswirkungen sind für uns bereits deutlich spürbar: Schwere Unwetter oder unerträgliche Hitze. Unsere Gletscher reagieren sensibel auf diese Extremwetter und sie schmelzen seit Jahren kontinuierlich dahin. Wir werden den Hallstätter Gletscher nicht mehr retten können – kommende Generationen werden dieses einzigartige Naturjuwel nur mehr von Bildern aus längst vergangenen Zeiten kennen. Die Gletscherschmelze ist ein Warnsignal – wenn wir jetzt nicht mutig vorangehen und das Klima konsequent schützen, dann ist es zu spät. Dann werden sich die Berge und dieser Planet wie wir ihn kennen, unwiederbringlich verändert haben“; warnt Klimaschutzministerin Leonore Gewessler.

Global gesehen hat in den vergangenen 35 Jahren der Massenverlust der Gletscher deutlich zugenommen: Derzeit verlieren die Gletscher weltweit 335 Mrd. Tonnen Eis pro Jahr. Diese Schmelze trägt jährlich zu einem Anstieg des Meeresspiegels um knapp einen Millimeter bei. Am Dachstein zeigen die Messergebnisse: Die Gletscherschmelze setzt sich unvermindert fort, vor allem aufgrund der sich verschiebenden Jahreszeiten mit sehr späten Schneefällen und immer extremeren Sommertemperaturen.

„Wir sehen am Messprogramm am Hallstätter Gletscher in welch atemberaubenden Tempo sich die Klimakrise beschleunigt. Ein Klimarekord reiht sich um den anderen und unsere Ökosysteme kommen mehr und mehr unter Druck. Klar ist auch schon, dass wir den Hallstätter Gletscher in der derzeitigen Form nicht mehr retten können, auch in den optimistischsten Klimaszenarien. Die Zeit drängt um eine in allen Regionen massiv wirksame Klimakatastrophe abzuwenden und vor allem müssen wir viel mehr in die Anpassung an die Klimaveränderung investieren. Die Unwetterereignisse der vergangenen Tage und die gewaltigen Zerstörungen in verschieden Teilen der Republik beweisen einmal mehr, dass die Unwetter durch die Klimakrise an Häufigkeit und Intensität zunehmen. Tendenz stark steigend. Renaturieren statt betonieren ist hier die Devise, wenn wir uns vor den fatalen Folgen der Erhitzung besser schützen wollen“, so Umwelt- und Klima-Landesrat Stefan Kaineder.

Forschungsarbeit am Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung

Das oberösterreichische Gletschermessprogramm wird in Partnerschaft mit dem Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung (IGF) in Innsbruck durchgeführt. Das IGF ist eine Forschungseinrichtung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Das Team des IGF untersucht die Erscheinungsformen und Auswirkungen von Prozessen des Klimawandels und der Globalisierung in den Gebirgsräumen der Erde. Mit der Ausrichtung auf Durchführung von Langzweitforschung und mit Hilfe von umfangreichen Datenbanken und Modellen zur Beobachtung erforscht das IGF-Team Mensch-Umwelt-Systeme in Gebirgen.

„Lange Messreihen wie am Hallstätter Gletscher sind wichtig, um das konkrete Ausmaß der Erderwärmung und ihrer Auswirkungen zu zeigen – Gletscher werden von der Weltorganisation für Meteorologie WMO als essentielle Klimavariablen eingeordnet, die uns weit über die instrumentellen Messungen der Temperatur, konkret über 1.5. Mio. Jahre des Temperaturverlaufes Auskunft geben. So können wir einerseits feststellen, wie stark sich das Klima ändert, aber auch warum diese Erwärmung einzigartig ist – es könnte in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts wärmer werden als in den letzten 1.5 Mio. Jahren. Wenn wir uns für diesen Weg entscheiden, sind die Konsequenzen für die Umwelt nicht vorhersehbar, etwa wo sichere Plätze für Siedlungen sind. Anpassungsmaßnahmen werden so nicht nur teuer, sondern unmöglich. Die gute Alternative ist es, den Klimawandel zu begrenzen. Das alles lernen wir aus sehr vielen Messreihen weltweit, unter anderem hier am Hallstätter Gletscher“, so die Glaziologin und Wissenschafterin des Jahres 2023 Andrea Fischer.

Interaktive Installationen des Landes OÖ machen Gletscherschwund sichtbar und sind Besuchermagnet auf der modernisierten Bergstation am Dachstein

In der Bergstation auf 2.700 Höhenmetern wurden, finanziert vom Land Oberösterreich, zwei Installationen entwickelt: Ein interaktiver Touchscreen visualisiert Daten und Fakten zu klimabedingen Veränderungen der Region Dachstein, die aus der App APPtauen Dachsteingletscher (Land Oberösterreich) stammen – und speziell für die großflächige Darstellung am Touchscreen erweitert und optimiert wurden. Im Panoramarestaurant kann das Digitale Fernrohr ausprobiert werden: Der Blick in die reale Berglandschaft wird ergänzt von einer digitalen Ebene (Overlay), die sich je nach Bewegung am Drehrad des Fernrohres verändert und Informationen einspielt. Besucher:innen erhalten einen völlig neuen Blick auf die Gipfelkette, die imposante 850 Meter hohe Dachstein-Südwand oder das Abschmelzen des Gletschers am Rosmarie Stollen.

„Mit über 200.000 Besuchern jährlich ist der Dachstein ein außergewöhnliches Ausflugsziel, das atemberaubende Naturerlebnisse bietet. Wir sind stolz darauf, mit der Modernisierung der Bergstation unter dem Titel ‚Energiekristall‘ und den interaktiven Installationen wie APPtauen und dem Digitalen Fernrohr unseren Gästen nicht nur spektakuläre Ausblicke, sondern auch wertvolle Einblicke in die Veränderungen unserer Umwelt zu ermöglichen. Durch diese Initiativen möchten wir das Bewusstsein für die klimatischen Entwicklungen stärken und unseren Beitrag zu einer nachhaltigen Zukunft leisten“, betont der Geschäftsführer der Planai Bahnen Dir. Georg Bliem.

Der oberösterreichische Umwelt und Klima-Landesrat Stefan Kaineder bedankt sich vor allem bei den Planai Bergbahnen für die Möglichkeit, die Installationen APPtauen und Digitales Fernrohr in der neuen Bergstation der Dachstein-Seilbahn umsetzen zu können: „Mit den beiden Installationen machen wir auf die größte Herausforderung in der Menschheitsgeschichte – dem Klimawandel – aufmerksam und sensibilisieren für dieses Thema direkt an dem Ort, wo die Klimakrise bereits ihre sichtbarsten Spuren hinterlassen hat. Ich freue mich, dass die neuen interaktiven Installationen auf so großes Interesse stoßen und die Ergebnisse aus unserem langjährigen Forschungsprojekt und die fortschreitende Klimaveränderung damit einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden können.“

APP[tauen] wurde zuerst als Webanwendung umgesetzt und dafür mit dem oberösterreichischen Werbepreis CAESAR in Gold ausgezeichnet und mit dem österreichweiten Werbepreis AUSTRIACUS in Silber prämiert.

„Wir alle haben Emotionen, die in der komplexen Welt der Digitalisierung, des wirtschaftlichen Wandels, der Biodiversitätskrise und des Klimawandels oft im Konflikt mit rein rationalen Lösungen stehen. Es freut mich besonders, dass wir von Ars Electronica Solutions mit dem Land Oberösterreich einen Partner gefunden haben, um diese beiden Welten zu einem ganzheitlichen Weltbild zu vereinen. Die Installationen machen die zentrale Bedeutung des Klimas für die Natur und damit für uns Menschen intuitiv begreifbar“, so der Geschäftsführer von Ars Electronica Solutions, die für die Umsetzung der Installationen verantwortlich sind.

Dem Klimawandel auf der Spur – wie geht’s dem fiebernden Hallstätter Gletscher aktuell? – Résumé aus 18 Jahren Forschung am Dachstein

Mit dem Start des Forschungsprojektes „Klima und Massenhaushalt des Hallstätter Gletschers“ wurde 2006 eine viele Jahrzehnte andauernde wissenschaftliche Tradition fortgesetzt, die von Friedrich Simony eingeleitet wurde. Im kommenden Oktober wird bereits die 18. Bilanz vorliegen.

Hallstätter Gletscher vom Taubenriedl im Jahr des Starts des Forschungsprojektes 2006, Quelle: BlueSky

In den ersten Jahren war der massive Massenverlust vor allem in der unteren Gletscherhälfte augenscheinlich und messbar, mittlerweile ist die gesamte Gletscherfläche betroffen. Wie auch den Vergleichsbildern aus 2006 und 2024 ersichtlich wird.

Im 18. Forschungsjahr wird der enorme Rückgang von ähnlichem Standpunkt sichtbar, Quelle BlueSky

„So wie alle Bilanzen vorher und wie bereits absehbar wird auch die aus dem heurigen Jahr leider wieder negativ ausfallen. In einem sehr ähnlichen Zustand befinden sich auch die übrigen 3 Dachsteingletscher: Gosau Gletscher, Schladminger Gletscher und Schneeloch Gletscher. Prägnant ist die Zerteilung der Eisfläche durch die auftauchenden Felsinseln, die in Konsequenz die Abschmelzung beschleunigt“, zieht der Leiter des Forschungsprojekts Klaus Reingruber von BlueSky Wetteranalysen traurige Bilanz.

Die Glaziologen sind in der Messperiode ab Mai bis Ende September zwischen sechs und zehn Tagen pro Jahr direkt am Eis unterwegs. Mit den notwendigen Instandhaltungsarbeiten im Winter summierte sich die Arbeit am „ewigen“ Eis auf rund zwölf bis 14 Tage im Jahr. Seit Projektbeginn waren die Glaziologen rund um Klaus Reingruber über 200 Mal im hochalpinen Gelände am Dachstein und am Hallstätter Gletscher unterwegs. „In der Zeit seit Projektbeginn hat sich Hallstätter Gletscher massiv verändert. Für die Glaziologen erschweren Felsen, Schutt und zerfranste Gletscherränder die Messarbeiten, an manchen Stellen nimmt die Steinschlaggefahr zu. Das ist auch ein Grund warum mittlerweile digitale Fernerkundungsmethoden verstärkt eingesetzt werden. Zu den Kameras, Satellitenbildern, Luftaufnahmen werden in Kürze auch Drohnen des Landes Oberösterreich für die Messungen am Gletscher eingesetzt. Die ersten Testflüge mit der Forschungsdrohne starten mit September“, bedankt sich Klaus Reingruber für die Kooperation, die ein weiterer Meilenstein zur Erforschung des Gletscherschwundes sein wird.

Links 2006 im Vergleich rechts 2024, die auftauchenden Felsinseln beschleunigen das Abschmelzen zusätzlich