Analyse über Verlust der Böden in Oberösterreich
Pressekonferenz mit Umwelt- und Klima-Landesrat Stefan Kaineder und Univ.-Prof.in DIin Dr.in Gerlind Weber (Raumforschungs- und Regionalentwicklungsexpertin)
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Verbaute Zukunft: Intakte Böden als Versicherung gegen Überschwemmungen und zur Sicherung der Lebensgrundlagen – Analyse über Verlust der Böden in Oberösterreich
Nach dem dritten Jahrhunderthochwasser innerhalb von 22 Jahren ist es Zeit, sich über den Verlust der Böden auch unter diesem Gesichtspunkt Gedanken zu machen. Erleichtert zeigt sich der für Hochwasserschutz zuständige Umwelt- und Klima-Landesrat Stefan Kaineder zwar, dass die vielen in Oberösterreich gesetzten Schutzmaßnahmen im Großen und Ganzen vor größeren Schäden bewahrt haben. Allerdings wird das nächste Hochwasserereignis angesichts der zunehmenden Klimaerwärmung nicht lange auf sich warten lassen. „Mehr Platz für unsere Flüsse, weniger Beton in der Landschaft und wirksamer Klimaschutz sind die beste Versicherung gegen Überschwemmungen und sichern die Lebensgrundlagen unserer Kinder. Klarerweise gilt es nicht nur bei der Umsetzung der geplanten Hochwasserschutzeinrichtungen auf’s Tempo zu drücken, es braucht insgesamt im Umgang mit der Verbauung unserer Böden mehr Sensibilität und wir müssen bei der Entsiegelung von Flächen schneller vorankommen.“, fasst Umwelt- und Klima-Landesrat Stefan Kaineder zusammen.
Verlust der Böden in OÖ
Täglich werden allein in Oberösterreich rund 21.000 Quadratmeter Boden für Siedlungs-, Verkehrs- und Geschäftsflächen verbraucht. Rund 40 Prozent dieser Fläche werden im Durchschnitt versiegelt oder überbaut und damit der Boden zerstört. Um der zunehmenden Versiegelung etwas entgegen zu setzen, geht das oberösterreichische Umwelt- und Klima-Ressort seit rund einem Jahr mit einem österreichweit einzigartigen Förderprogramm „auf Aufriss“. Ziel ist die Entsiegelung von asphaltierten und betonierten Flächen. Unterstützt werden Betriebe, Gemeinden und Einzelpersonen, die wasserundurchlässige Flächen, wie etwa Parkplätze, aufreißen sowie naturnah und klimafit gestalten. „Gesunde aufnahmefähige Böden sind Vorsorge gegen Überflutungen und Hochwasser. Ein Quadratmeter gesunder Boden kann bis zu 200 Liter Wasser aufnehmen“, gibt Kaineder zu bedenken.
Neben dem Bodenverbrauch zeigt eine aktuelle Studie der BOKU einen bisher weniger beachteten Aspekt auf: Siedlungen, großflächige Gewerbegebiete und Einkaufszentren außerhalb kompakter Siedlungsstrukturen bedeuten Zersiedlung, die einen besonders hohen Flächen- und Ressourcenverbrauch verursacht. Die Studie verzeichnet einen rasanten Anstieg der Zersiedelung seit 1975, was Oberösterreich zu einem der am stärksten zersiedelten Bundesländer macht.
Leerstandsabgabe bringt Bodenschutz und schafft lebendige Orstkerne
Es braucht verbindliche Ziele, um dem Bodenverbrauch Grenzen zu setzen und klaren Vorrang für Leerstandsnutzung, um wieder lebendige Orte zu schaffen. Rund 30.000 Wohnungen mit einer Wohnfläche von 2,6 Millionen Quadratmeter stehen laut Greenpeace-Berechnungen in Oberösterreich leer. Produktive Böden und Erholungsgebiete müssen besser geschützt werden und in den Bebauungsplänen und bei der Widmung von Verkehrsflächen sollten bodenschonende Errichtungen und eine flächensparende Erschließung die Norm sein.
Österreichweit sind laut WIFO etwa 20 Prozent aller Wohnungen ohne Wohnsitzmeldung, das heißt, der Leerstand beträgt in Österreich insgesamt rund 650.000 Wohneinheiten. „Dieses so wichtige und überfällige Instrument gegen Wohnungsnot, steigende Wohnpreise und das Horten von Wohnungen ist endlich einzusetzen. Ein Instrument, das dazu beitragen wird, Bestehendes zu nutzen, statt immer neuen Boden zu verbrauchen“, so Kaineder.
EU-Renaturierungsgesetz bedeutet Schub für Hochwasserschutz
Das aktuelle Hochwasserereignis zeigt aber auch, wie wichtig das Renaturierungsgesetz der Europäischen Union ist. Denn Renaturierung schützt vor Hochwasser, weil sie natürliche Prozesse und Landschaftsformen wiederherstellt, die das Wasser auf natürliche Weise aufnehmen, speichern und den Abfluss verzögern können. Durch renaturierte Flüsse kann mehr Wasser in der Landschaft zurückgehalten werden. Überschwemmungsflächen bieten Raum für das Wasser, um Hochwasserspitzen abzuschwächen. Naturnahe Flussläufe haben oft mehr Mäander und eine vielfältige Vegetation. Diese Strukturen verlangsamen den Wasserfluss, wodurch das Wasser langsamer ins Tal abfließt. Wälder, Moore und Auen sind natürliche Pufferzonen, die durch Renaturierung wiederhergestellt oder gestärkt werden können. Diese Gebiete wirken als Schwämme, die Wasser speichern und erst nach und nach wieder abgeben. In naturnahen Landschaften mit vielfältiger Vegetation wird die Bodenerosion reduziert. Dadurch gelangen weniger Sedimente in Flüsse, die sonst zur Verlandung und Verengung von Flussläufen führen könnten.
„Während wir in Oberösterreich beim technischen Hochwasserschutz die Lehren aus den letzten großen Hochwasserereignissen gezogen und in massive Schutzbaumaßnahmen und Hochwasserschutzprojekte investiert haben, haben wir beim ökologischen Hochwasserschutz und bei Bodenschutzmaßnahmen erheblichen Aufholbedarf. Denn durch den Verlust von natürlichen Überflutungsflächen, Flussbegradigungen und stark verdichteten Böden steigt die Hochwassergefahr zusätzlich. Nachhaltige Maßnahmen sind unerlässlich, um die Sicherheit und das Wohl unserer Bürgerinnen und Bürger sowie unserer Umwelt und Natur zu gewährleisten“, begrüßt Umwelt- und Klima-Landesrat die Umsetzung des europäischen Renaturierungsgesetzes in Oberösterreich.
Raumforschung fordert klare Vorgaben und Instrumente für wirksamen Bodenschutz
“Zersiedelung ist die Negativform menschlichen Siedelns” hat bereits vor vielen Jahrzehnten der Verfassungsgerichtshof in einem Erkenntnis festgestellt und dabei erklärend hinzugefügt, dass damit Folgendes gemeint ist: “Das Ausufern der Städte in ihr Umland, das Ausufern der Bebauung in ländlich geprägten Gemeinden” sowie “das Entstehen von Siedlungssplittern inmitten der landwirtschaftlichen Flur”. Kurz: Zersiedelung benennt das Bauen am falschen Platz.
Oberösterreich ist stark zersiedelt
Nun hat erstmals eine Forschungsgruppe rund um Professor Helmut Haberl von der BOKU Wien die Ergebnisse der Auswertung von Satellitenbildern von 1975 bis 2020, also von einer Zeitreihe von 45 Jahren in Hinblick auf die räumliche Verteilung der Siedlungsmuster nach Bundesländern vorgenommen. Er und sein Team haben gewissermaßen mit wissenschaftlichen Methoden der Zersiedelung Österreichs nachgespürt.
Dabei wurde Österreich in Rasterzellen von 100m x 100m unterteilt. Umso gestreuter die bebauten Flächen in der Landschaft verteilt sind und umso geringer die Nutzungsdichte in den Rasterzellen ist, desto höher ist der Grad der Zersiedelung. Hinsichtlich Oberösterreich kamen die ForscherInnen zu folgenden Resultaten:
- Zwischen 1975 und 2020 kam es zu einer Versechsfachung der hohen und sehr hohen Zersiedelung. Das heißt, der Siedlungsraum wurde immer weiter hinausgetrieben und die Bebauung wurde mit zunehmender Außenentwicklung immer schütterer. Hinsichtlich der Zersiedelungsdynamik nimmt so OÖ nach der Steiermark und Kärnten den unrühmlichen dritten Platz aller neun Bundesländer ein.
- Zudem ist in OÖ (gleichauf mit der Steiermark) der Anstieg des Anteils der hoch und sehr hoch zersiedelten Flächen mit 39 Prozent zwischen 1975 und 2020 österreichweit am stärksten ausgeprägt. Gerade in jüngerer Zeit wuchsen die weit gestreuten, wenig bebauten Siedlungsteile besonders stark an.
Was sind nun die Konsequenzen dieser starken Zersiedelung gerade im Zusammenhang mit den vor wenigen Tagen auch in OÖ wütenden Starkniederschläge und den daraus resultierenden Überschwemmungen?
Erstens: Zersiedelung befeuert den Klimawandel und damit Hochwasserereignisse hinsichtlich Frequenz und Ausprägung
aufgrund beispielsweise
- ausufernder Versiegelung durch extrem weitläufige Straßennetze
- hohe Autoabhängigkeit durch weite Alltagswege und fehlende Erschließung durch öffentliche Verkehrsmittel
- unnötig hohem Material- und Energieeinsatz bei Errichtung, Erhaltung und Erneuerung der weitläufigen Straßen- und Leitungsinfrastruktur
- ungerechtfertigter verschwenderischer Zugriff auf die Landwirtschaftsflächen, die die Bauern durch Intensivierung der Bewirtschaftung der verbleibenden Flächen zu kompensieren versuchen.
Zweitens: Unnötige Erschwernisse im Katastrophenfall wie Hochwasser
- Zersiedelung erhöht die Vulnerabilität insbesondere von abgelegenen Standorten
- Zersiedelung verstellt und zerschneidet potenzielle Abfluss- und Rückhalteräume
- beeinträchtigt die Versickerung
- verhindert großzügige Renaturierung von Flussabschnitten
- schürt Konflikte zwischen Unter- und Oberliegergemeinden
- verhindert präventive Schutzmaßnahmen durch Unvertretbarkeit der Kosten- Nutzenrelation
- verzögert Hilfseinsätze
- Absiedlungen werden immer unausweichlicher
Gründe für die schlechte Siedlungsentwicklung in OÖ
- Fehlende Regionalplanung: Auch der Rechnungshof hat schon die weitgehend fehlende Regionalplanung in OÖ bemängelt anlässlich der Prüfung des Falls “Ehrenfeld 2”, weil deshalb die Gemeinden in schwierigen Entscheidungssituationen über keine richtungsweisenden Vorentscheidungen verfügen.
- Grünland ist “Restfläche”: Im OÖ Raumordnungsgesetz ist Grünland nur als Restfläche definiert, wenn es in § 30 heißt: “Alles was nicht Baufläche oder Verkehrsfläche ist, ist Grünland”. So wird etwa der Naturgefahrenvorsorge nicht der gebührliche Stellenwert in der planerischen Abwägung eingeräumt.
- Dominanz der Individualinteressen: Das OÖROG sieht vor, dass zu Beginn des Planungsprozesses die Liegenschaftseigentümer:innen aufgefordert werden, ihre Planungsinteressen kundzutun.
- Keine gesetzliche Nutzungsverpflichtung von Baulandwidmung: Das OÖROG kennt keine Baugebote weder für Altwidmungen noch für Neuwidmungen.
- Setzen auf Vertragsraumordnung: Wesensgemäß beschränken sich die Baulandverträge auf Fälle von Umwidmung der “grünen Wiese” in Bauland. Sie treiben so in der Praxis oft die Zersiedelung an.